Wo ist sie hin, die „Nettikette”, fragen wir uns, wenn wir eine barsche E-Mail eines Kollegen erhalten. Unfreundliche Töne sind gerade in der elektronischen Kommunikation verbreitet. Können wir das positiv beeinflussen? – Wir meinen, ja!
Folgendes Beispiel ist typisch: Außendienstmitarbeiter Gernot Sonntag findet es wichtig, direkt auf E-Mails zu reagieren. Als die Sekretärin Sylvia van Veerth eine Excel-Tabelle mit Kundendaten und Umsatz per E-Mail an alle Außendienstmitarbeiter schickt, antwortet Herr Sonntag: „Die Tabelle nützt mir nix. Sie haben ja die Telefonnummern vergessen.” Dumm nur, dass das erstens nicht stimmt – es fehlen lediglich 3 von 30 Telefonnummern. Zweitens schickt Herr Sonntag seine Antwort mit „Cc“ an das gesamte Außendienstteam, inklusive Chef.
Wie man sich als Empfänger einer solchen E-Mail fühlt, können Sie sich sicher vorstellen. Für Ihr Selbstwertgefühl und Ihr Standing im Unternehmen ist es aber besonders wichtig, dass Sie gerade jetzt souverän und gelassen bleiben. Doch das ist leicht gesagt. Müssen wir uns solche Beleidigungen gefallen lassen? Warum reagiert ein sonst völlig unauffälliger Kollege so respektlos? Um die Frage nach dem „Warum“ beantworten zu können, hilft ein allgemeiner Vergleich von elektronischer und gedruckter Korrespondenz.
Papier ist geduldig, E-Mails sind schneller!
Beide werden heutzutage am PC erstellt. Doch gedruckte Korrespondenz überfliegen und prüfen wir – auch unbewusst – öfter als elektronische: Haben Sie einen Text verfasst und ausgedruckt, lesen Sie ihn mindestens einmal durch, korrigieren eventuelle Fehler und drucken den Brief noch einmal aus. Dann wird er gefaltet und in ein Kuvert gesteckt. Sie nehmen das Schreiben also mehrmals in die Hand und blicken immer wieder auf die Zeilen. Gedruckte Korrespondenz braucht auch länger beim Versenden.
Elektronische Korrespondenz verfassen wir meist nur einmal. Kaum jemand druckt seine E-Mails aus oder speichert gar eine erste Version, um sie später fertigzuschreiben, oder? Wenn überhaupt, überfliegen wir unsere getippten Nachrichten am Bildschirm und klicken dann auf „Senden“. Wenige Zeit später ist die Botschaft beim Empfänger angekommen und dort wird sie ebenfalls kurz überflogen. Alles in allem sind E-Mails also eine schnelllebige Sache? – Nicht für unser Gehirn!
Was ist „Netiquette“?
Der Begriff ist ein zusammengesetztes Kunstwort aus den Wörtern „Net“ und „Etiquette“ und bezeichnet eine Sammlung von Verhaltensregeln innerhalb des gesamten Online-Bereichs – von der E-Mail-Korrespondenz bis hin zu Foren und Plattformen im Internet. Diese Verhaltensregeln sind allerdings nicht festgelegt, sondern lediglich Empfehlungen. Im deutschen Sprachraum ist auch die vereinfachte Schreibweise „Nettikette“ gebräuchlich.
Problemfall(e) E-Mail
Gerade weil sie so schnell sind, gehören E-Mails zum beliebtesten Kommunikationsmittel neben dem Telefon – sowohl innerhalb eines Unternehmens als auch zwischen Lieferanten oder Kunden. Schnell und unbürokratisch klären wir mit ihrer Hilfe Sachverhalte, vereinbaren Termine und regeln dringende Angelegenheiten. So weit zur Stärke. Die Schwäche liegt ebenfalls in der Schnelligkeit: Wir überfliegen E-Mail-Botschaften zwar schnell, doch der Inhalt bleibt – genau wie der eines Briefs – länger im Gedächtnis. Ob Brief oder Mail, wir fassen wir ein getipptes „Das nützt mir nichts!“ eher als Beleidigung auf als ein gesprochenes.
1. Tipps zum Versenden
Schnell geschrieben, wenig geprüft und viel zu schnell versendet … Manchmal wünschen wir uns einen „Rückhol-Knopf“, der Gesendetes ungeschehen macht, doch den gibt es leider nicht. Was also können wir tun?
- Schreiben Sie immer so, wie Sie selbst angeschrieben werden möchten.
- Schreiben Sie immer eine Anrede und eine Grußformel.
- Fügen Sie lieber ein „Bitte“ oder „Danke“ zu viel als zu wenig ein.
- Erklären Sie eine Bitte oder Anmerkung, gerade wenn Kritik mit hineinspielt.
- Schicken Sie eine E-Mail mit „Cc“ an alle nur, wenn es alle betrifft, nicht, wenn kritisiert wird! Persönliches oder Angelegenheiten, die nur eine Person betreffen, gehen nur an diese Adresse.
- Lesen Sie den Text immer ganz durch, bevor Sie auf „Senden“ klicken.
Egal, wie gut Sie den Empfänger kennen: Behandeln Sie ihn in einer E-Mail immer mit Respekt. Er kann schließlich nur am Text erkennen, wie Ihre Äußerung gemeint ist. Mimik und Gestik zur Unterstützung fehlen. Ein informelles „Hallo“ ist erlaubt, eine Antwort ohne Anrede nicht. Kopien an eine größere Gruppe können schnell als beleidigendes „Petzen“ aufgefasst werden.
Herr Sonntag hätte besser entweder telefonisch nachgefragt oder etwas länger geantwortet mit: „Könnten Sie mir bitte noch die Telefonnummern von XY nachreichen?“
2. Tipps zum Empfangen
Zum Problem „Versenden“ kommt das Problem „Empfangen“, denn den Inhalt einer E-Mail-Botschaft speichert unser Gehirn genauso wie den eines Papierbriefs: nachhaltig. So fassen wir selbst neutrale Äußerungen als Beleidigung oder ein vergessenes „Bitte“ und „Danke“ als Unhöflichkeit auf. Wie sollten wir also antworten?
- Finger weg von der Tastatur! Antworten Sie nie direkt.
- Lesen Sie die E-Mail erst ganz durch.
- Prüfen Sie dann eine eventuelle Beschuldigung: Meint der Sender Sie oder macht er „nur“ auf etwas aufmerksam?
- Antworten oder ignorieren? Wägen Sie ab, was Ihnen mehr nutzt und weniger schadet.
- Per E-Mail oder persönlich/per Telefon? Manchmal wirkt ein Telefonat mehr als eine weitere E-Mail.
- Wenn Sie antworten, dann mit Ruhe, in einem freundlichen Ton. Letzteren dürfen Sie ruhig übertreiben.
- Ging die E-Mail an alle, antworten Sie auch an alle (mit „Cc“ und in der Ansprache)!
In unserem Beispiel könnte eine Reaktion von Frau van Veerth so lauten:
Sehr geehrter Herr Sonntag,
danke, dass Sie uns alle auf die fehlenden Telefonnummern dreier Mitarbeiter aufmerksam gemacht haben. Sie sind nicht enthalten, weil sie mir noch nicht vorliegen. Vielleicht könnte der eine oder andere von Ihnen sie bei einem Ihrer nächsten Besuche erfragen? Das wäre prima.
Freundliche Grüße
Sylvia van Veerth
Verbale Beleidigungen
Ganz anders sieht es bei einem persönlichen Angriff aus. Hier sollten Sie niemals antworten, denn Sie würden nur verlieren. Am besten ignorieren Sie solche E-Mails. Erhalten Sie derartige Botschaften häufiger, fallen sie als „Spam“ unter die Kategorie „Mobbing“. Daher zeigen Sie diese am besten Ihrem Vorgesetzen und/oder der Personalabteilung.
Die Autorin Manuela Krämer, M. A., (federkunst- texte.de) ist Autorin und Werbetexterin.