Wie hören Sie zu? Hier geht es diesmal nicht darum, ob Sie aufmerksam sind, sich Notizen machen und an den richtigen Stellen nachfassen. Im mindestens gleichen Maße wie diese äußeren Merkmale des Zuhörens geht es auch darum, wie Sie innerlich zuhören, wie die Botschaft Ihres Gegenübers bei Ihnen ankommt. Neigen Sie dazu, sich selbst die Schuld an Missverständnissen zu geben? Oder versuchen Sie stets, dem anderen Verständnis entgegen zu bringen? Mit unserem Text finden Sie es heraus.
Stellen Sie sich die folgende Situation vor: Im Gespräch mit einem Kollegen geht es seit 15 Minuten heiß her, da kommt folgende Aussage von ihm: “Was nutzt es, mit Ihnen zu sprechen? Sie hören eh nie zu!” Nun gibt es grundsätzlich vier Möglichkeiten diese Aussage zu hören.
Schuldohren nach außen gerichtet
Ich gebe dem anderen die Schuld: “Sie geben sich ja gar keine Mühe, vernünftig mit mir zu reden!” (unausgesprochen: “Ich wusste, er würde versuchen, sich auf meine Kosten durchzusetzen!”). Ich baue ein Feindbild auf, reagiere mit Ärger und mache den anderen für meine Gefühle verantwortlich.
Schuldohren nach innen
Ich gebe mir die Schuld, ich nehme die Aussage des anderen persönlich: “Er hat wohl recht, ich bin unkonzentriert! Vielleicht bin ich auch zu dumm und begreife es nicht.” Die hartnäckigsten Bewertungen und Vorurteile bringen wir oft uns selbst entgegen. Das ist der Grund, warum es uns so schwerfällt, sachlich geäußerte Kritik nicht persönlich zu nehmen. Während wir noch zuhören, stimmen wir dem anderen schon innerlich zu. Aus solchen Urteilen über uns resultieren Scham und Schuldgefühle. Wenn wir lange genug mit uns so reden, fühlen wir uns deprimiert.
Verständnisohren nach außen (empathisches Zuhören)
Da Verurteilungen ein Ausdruck von Gefühlen und Bedürfnissen sind, kann ich meine Aufmerksamkeit beim Zuhören auch darauf richten anstatt auf die Worte und z. B. innerlich folgende Fragen an mein Gegenüber stellen:
- “Sind Sie nach der ganzen Diskussion genervt, weil Sie die Sicherheit brauchen, dass Ihre Sichtweise ernst genommen wird?”
- “Sind Sie nach so vielen Worten frustriert und brauchen die Gewissheit, dass wir in der Sache vorankommen?”
- “Ich vermute, Sie sind nach der ganzen Zeit, die Sie sich für mich genommen haben, ziemlich frustriert? Und es wäre für Sie leichter, wenn Sie wüssten, was von Ihrem Standpunkt bei mir angekommen ist?”
Ich interpretiere die Aussage des anderen, daher stelle ich Fragen, ohne etwas zu behaupten. Das Wesentliche bei dieser Art des Zuhörens ist nicht, dass ich mit meiner Interpretation ins Schwarze treffen muss, sondern dass ich mein ehrliches Interesse am anderen zeige. Das wird in erster Linie – zu 90 % – über Stimme und Körpersprache wahrnehmbar!
Verständnisohren nach innen (Selbstempathie)
Wenn es mir nicht so leicht fällt, die Botschaft als Wertschätzung zu hören, ich also mit Schuldohren zuhöre, was kann ich dann tun? Dann gebe ich mir zuerst selbst Verständnis, um wieder in eine Verhandlungshaltung zu kommen: “Im Moment bin ich hin- und hergerissen, denn ich möchte auf der einen Seite seine Anstrengungen würdigen, sich verständlich zu machen, und andererseits aufrichtig sein, wenn mich seine Argumente nicht überzeugen. Wieso kann ich seiner Strategie eigentlich nicht zustimmen? Hm, wohl, weil ich darin keine Perspektive für mich sehe (Urteil: was ich nicht will) – und genau die brauche ich! (Fokus zurück zu: was ich will).” Denken Sie daran: Voraussetzung für Fremdachtung ist Selbstachtung.
Richtig zuhören mit Verständnisohren
Wer entscheidet, welche der vier Optionen Sie wählen, wenn Sie zuhören? Immer Sie selbst! Kein Mensch hat die Macht, Ihnen andere Ohren aufzusetzen, sie von innen nach außen oder umgekehrt zu drehen. Ihre Haltung wird sich in Ihrer Wahl widerspiegeln. Schuldohren sind denkbar ungeeignet, um richtig zuhören zu können und Kontakt herzustellen. Verständnisohren erhöhen die Wahrscheinlichkeit, den Kontakt so zu gestalten, dass die “Rollladen oben bleiben”.