Lärm macht krank! Das bestätigt eine Studie des Umweltbundesamts aus dem Jahr 2015. sekretaria sprach mit dem Experten Rüdiger Granz darüber, was Lärm im Büro bedeutet und wie Sie ihn minimieren können.
Rüdiger Granz
ist Fachkraft für Arbeitssicherheit, ehemals langjähriger Mitarbeiter der „Beratungsstelle Arbeit & Gesundheit“ in Hamburg und war als Arbeitnehmervertreter im Arbeitskreis zur Erarbeitung der Technischen Regel für Arbeitsstätten ASR A3.7 „Lärm“ beteiligt.
sekretaria Magazin: Echte Hörschäden sind ja bei der Büroarbeit nicht zu erwarten. Warum ist es trotzdem sinnvoll, auf den Geräuschpegel zu achten?
Rüdiger Granz: Lärm ist negativ erlebter Schall, der störend, belästigend und schädigend wirken kann – im Gegensatz zu positiv erlebtem Schall wie Vogelgezwitscher, Blätterrauschen, nicht allzu laute Musik. Generell lässt sich sagen: Je höher die geistige Anspannung und Konzentration, desto sensibler reagiert der Mensch auf Lärm und niedrigste Nebengeräusche. Dies gilt auch für niedrige Schallpegel. Bei hoher Anspannung und konzentriertem Arbeiten haben Lärm und Geräusche einen ähnlichen Effekt wie Stresssituationen am Arbeitsplatz. Fachlich wird dieser Lärm als extra-aural (lat. „auris“: Ohr) bezeichnet.
Welche Folgen drohen, wenn es dauerhaft zu laut ist?
Die gesundheitlichen Auswirkungen sind denen psychischer Belastungen ähnlich: Ausschüttung von Stresshormonen mit den Folgen Nervosität, Gereiztheit, Kopfschmerzen. Dieser „gefühlte Lärm“, auch Lärmstress genannt, erhöht das Risiko für Magen-Darm-Probleme und Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
Wie laut ist zu laut?
Zum Vergleich: Der Grenzwert für die eigentliche Hörschädigung (im Innenohr) bei langanhaltendem Arbeitslärm liegt bei 80 dB (Dezibel). Ein vorbeifahrendes Auto bringt es etwa auf 70–80 dB, Gespräche und Tischventilatoren liegen bei 50 dB, Flüstern und Blätterrauschen etwa 20–30 dB. Bei Routinearbeiten und mittlerer Konzentration werden maximal 70 dB zugrunde gelegt, bei hoher geistiger Konzentration oder hoher Sprachverständlichkeit 55 dB. Arbeitswissenschaftlich werden bei besonders hohen geistigen Anforderungen aber noch wesentlich geringere Werte von 30–45 dB diskutiert.
Was sind denn die häufigsten und schlimmsten Geräuschquellen im Büro?
Das sind Geräusche, die nicht von einem persönlich, sondern von anderen Lärmquellen ausgehen: Lärm, der mich „nervt“. Dazu gehört der Lärm von außen, etwa durch Bau-, Straßen-, Produktionslärm sowie Lärm aus dem Innenbereich wie Türenschlagen, Durchgangsgeräusche, Besprechungen, Telefongespräche, Handyklingeln, Geräusche von Lüftern, Klimaanlagen, technischen Geräten.
Aus der Perspektive eines Akustikers: Was ist von neuen Raumkonzepten wie Großraumbüros, Open-Space-Flächen und Co. zu halten? Wie müssen sie gestaltet sein, damit ein gutes Arbeiten gewährleistet ist?
Der Trend zu Großraumbüros und offenen Büroumgebungen ist aus gesundheitlicher Sicht ein Rückschritt, weil alle mehr oder weniger im Geräuschpegel arbeiten, Umgebungslärm ausgesetzt sind und sich auch gegenseitig stören. Für konzentriertes Arbeiten sind eher Kleinraum- oder Einzelbüros geeignet. Wenn das nicht möglich ist, sind separate Ruhe („silent“-)Räume oder Rückzugszonen bei hohen geistigen Anspannungen sinnvoll. Separierte Telefonzellen oder Telefonbereiche und abgetrennte Besprechungsbereiche helfen, den Geräuschpegel durch Gespräche zu reduzieren. Auch (nachträglich eingebaute) Trennwände und jegliche Art von schallschluckenden Wand- und/oder Decken-Absorbern sind außerordentlich wirksam, den „Lärmstress“ am Arbeitsplatz deutlich zu vermindern.
Was kann die Sekretärin selbst veranlassen, wenn sie sich dauernd gestört fühlt?Lärm sind letztlich Störungen im Arbeitsablauf. Deswegen sollte Sie das Thema „Lärm im Büro“ unbedingt in Arbeitsbesprechungen auf die Agenda setzen. Dazu gehört auch, wie mit technischen und organisatorischen Maßnahmen die Lärmentstehung und -ausbreitung an den Arbeitsplätzen vermindert werden kann. Vorschläge aus dem Beschäftigtenbereich sind da außerordentlich hilfreich. Persönlich kann auch mit gegenseitiger Rücksichtnahme und dem Wissen, wie Lärm und Geräusche entstehen, jede und jeder dazu beitragen, nach Möglichkeit Lärmquellen zu reduzieren.
Worauf besteht denn ein rechtlicher Anspruch, wenn die Sekretärin selbst nicht weiterkommt?
Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) und Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV) regeln, dass der Arbeitgeber Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz gewährleisten muss, dies schließt die psychisch-mentale Belastung durch Lärm mit ein. Der Arbeitgeber hat eine Beurteilung der Arbeitsbedingungen („Gefährdungsbeurteilung“) vorzunehmen, um daraus entsprechende Arbeitsschutzmaßnahmen zur Lärmminderung abzuleiten. Gibt es eine betriebliche Interessenvertretung (Betriebs-/ Personalrat), so kann diese das Thema aufgreifen und Schutzmaßnahmen einfordern. Ergänzend gibt es seit Mai 2018 eine neue Technische Regel zur Arbeitsstättenverordnung, die ASR A3.7 „Lärm“, die eigens für die Belastung bei extra-auralem Lärm am Arbeitsplatz vom Bundesministerium erlassen worden ist.
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Von der Website der gesetzlichen Unfallversicherung können Sie sich einen Ratgeber zum Thema „Akustik im Büro“ herunterladen.
Welche Maßnahmen zur Schallreduzierung sind besonders effektiv?
Grundsätzlich gilt das Minimierungsgebot. Zunächst sollte eine Bestandsaufnahme und/oder Begehung am Arbeitsplatz vorgenommen werden, um die Ursachen der Lärmquellen zu ermitteln. Das ist oft hilfreicher als ein aufwendiges (und teures) Messverfahren. Handelt es sich um Bauakustik, also um Lärm über das Gebäude, oder mangelnde Akustik im Innenraum? Hierüber lassen sich oft schon die entscheidenden und intensivsten Lärmbereiche ermitteln. Durch eine Verbesserung der Raumakustik, insbesondere durch eine Vermeidung der Schallentstehung, der -ausbreitung und Schallabstrahlung, das ist die Reflektion an harten Flächen, können sehr wirksam Lärm und Geräusche am Arbeitsplatz reduziert werden. Dazu gehören auch die schon oben beschriebenen schallschluckenden Maßnahmen wie Decken- und Wand-Absorber, auch Teppichböden, Deckensegel und Büromöbel mit Absorbtionsflächen sind sehr effektiv. Im Telefoniebereich können Headsets dazu beitragen, die Sprachverständlichkeit zu verbessern.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Cordula Natusch.