Offenheit und Struktur

Das Unternehmen Zukunft

Offenheit und Struktur
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Durchlässig statt starr: In Zukunft sind Unternehmen keine geschlossenen Systeme mehr, sondern wandeln ständig ihre Form. Diese neue Offenheit braucht auch klare Strukturen.

Unsere Gesellschaft befindet sich im Wandel von der Industrie- zur Wissensgesellschaft. Dementsprechend verändern sich auch Unternehmensstrukturen und Arbeitsräume: Service‑, Informations- und Kreativarbeiter rücken ins Zentrum des weltweiten Wirtschaftens, und während die Work-Life-Balance beschworen wird, verschwimmen die Grenzen zwischen Berufs- und Privatleben. Als kreative Arbeiter werden wir zunehmend selbstständig, auch wenn wir fest angestellt sind.

Demokratisch geführt

Immer mehr Unternehmen brechen starre Führungs- und Organisationsstrukturen auf, um sie durch flache, temporäre und offenere Alternativen zu ersetzen. Im Extremfall kann das so aussehen wie beim Start-up elbdudler: Die Hamburger Agentur hat gleich jede Form von Hierarchie abgeschafft, frei nach dem Leitsatz „Kompetenz schlägt Hierarchie“. Zugleich können die Mitarbeiter die Gehaltsfrage selbst beantworten. Verantworten müssen sie sich nur vor sich selbst – und vor ihrem Team. Der Erfolg gibt dem Konzept recht: Die 34 kreativen Köpfe gründen in regelmäßigen Abständen weitere Start-ups, um ihre Geschäftsideen zu verwirklichen. Natürlich muss nicht gleich die ganze Führungsebene abgeschafft werden, um eine Organisation partizipativer zu strukturieren.

Flache Hierarchien

Die Realität sieht in vielen Unternehmen noch etwas anders aus. Und dennoch hat sich tief im Organismus der Arbeit etwas verändert. Hierarchien werden flacher, Erwerbsformen flexibler und mobiler; langsam löst sich Arbeit von der Präsenz. Auch große Konzerne können von einer Öffnung der Strukturen profitieren. Das Technologieunternehmen W. L. Gore & Associates teilt seine mehr als 10.000 Mitarbeiter in lediglich drei Hierarchieebenen auf: einen demokratisch gewählten Geschäftsführer, wenige Abteilungsleiter und den Rest der Belegschaft. Die Mitarbeiter arbeiten in Teams von acht bis zwölf Personen, in denen sie sämtliche Entscheidungen eigenverantwortlich fällen können. So kann beispielsweise jedes Team festlegen, welche Projekte bearbeitet werden oder welche Neueinstellungen erfolgen.

Offene Dialoge

Google pflegt ebenfalls eine offene Unternehmenskultur, die Mitarbeiter motivieren soll, ihre Ideen und Ansichten aktiv einzubringen. Die wöchentlichen TGIF-Treffen („Thank God it’s Friday“) dienen dabei als Dialogplattform. Wer möchte, kann sich mit seinen Anregungen auch auf direktem Weg an die beiden Unternehmensgründer Larry Page und Sergey Brin wenden.

Diese transparente Kultur ist ein Grund dafür, dass Google laut dem Beratungsunternehmen Universum von Studierenden der Wirtschaftswissenschaften als weltweit attraktivster Arbeitgeber gesehen wird. „Neue partizipative Organisationskonzepte können nur gedeihen, wenn alle Mitarbeiter verantwortungsvoll mit ihren Aufgaben umgehen. Das wiederum funktioniert nur, wenn sie sich mit dem Unternehmen identifizieren“, sagt Simon Henkel, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Zukunftsinstituts. Entscheidend sei deshalb eine Unternehmenskultur, in der das Vertrauen jedes Einzelnen unterstützt wird – in sich selbst wie in den Arbeitgeber. Eine solche Kultur erhöht die intrinsische Motivation – und schafft Raum für Produktivität, Kreativität und Innovation.

Das Märchen von der Work-Life-Balance

Eines der konzeptuellen Missverständnisse der Neuen Arbeit sei die Idee, zwischen „Arbeit“ und „Leben“ ließe sich eine perfekte Balance herstellen, schreibt der Leiter des Zukunftsinstituts, Matthias Horx, in einem Fachbeitrag. „Erstens sind beide Bereiche nicht wirklich zu trennen: Arbeit IST Leben und vice versa. Zweitens entspricht das Ideal einer ‚Balance‘ nicht der realen Welt mit ihren Turbulenzen“, so Horx. Wer halb arbeitet und halb lebt, macht beides nicht wirklich. Horx ist Inhaber des 1998 gegründeten Zukunftsinstituts und profilierter Zukunftsvisionär. Sein Institut gilt heute als einer der einflussreichsten Thinktanks der europäischen Trend- und Zukunftsforschung und ist eine zentrale Informations- und Inspirationsquelle für Entscheider und Weiterdenker.

Work-Life-Dynamik

Statt „Balance“ empfiehlt Horx, von Integration oder Work-Life-Dynamik zu sprechen. „Es gibt Zeiten im Leben, in denen das Leben die Arbeit ergreift – Arbeit wird dann schöpferische Zeit. Und es gibt Zeiten, in denen die Familie in ihren vielen Formen Freiräume vom Erwerb einfordert. Dazwischen müssen wir improvisieren, kombinieren, hin- und herschwingen. Man kann sein Vater- oder Muttersein nicht beim Pförtner abgeben, ebenso wenig wie man seinen Beruf (oder seine Berufung) in der heimatlichen Garage lässt. Im besten Sinne können sich beide Sphären gegenseitig befruchten, in jenen Tugenden und Eigenschaften, die das Leben wie auch die Arbeit bereichern: Kreativität, Resilienz, Störungsbreitschaft, Neugier … Lebensfreude.“

Neue Kulturtechniken

Selbstbestimmte Arbeit bleibt eine harte, lebenslange Aufgabe. Sie erfordert eine neue Kultur der Arbeit sowie neue Arbeitsformen und -techniken, da sind sich alle Experten einig. Sie nennen diese neuen Techniken Emotions-Intelligenz, Kommunikations- Intelligenz und Netzwerk-Intelligenz. Es geht stärker um uns, um das, was wir können, wollen und sind, und um das Netzwerk, in dem wir uns bewegen. An Bedeutung zunehmen wird aber auch das Prinzip „Antiwork“. Der Publizist Brian Dean erklärt „Antiwork“ so: „Antiwork ist eine moralische Alternative zu der Arbeitsobsession, die unsere Gesellschaft schon so lange plagt. Antiwork ist ein Projekt, um Arbeit und Freizeit radikal zu reorganisieren. Eine kognitive Gegenmacht zu jener ‚Harten Arbeit‘, die als Resultat calvinistischer Arbeitsethik unser Bewusstsein und unsere Zeit prägt.“

Social Work

Zu Hard Work und Smart Work gesellt sich also ein dritter Sektor der Arbeit, der geprägt wird von einer Ökonomie des Tauschens, von Co-Working und der Sharing Economy. Und dem ständig größer werdenden Sektor des Volunteering, der sozialen Arbeit und des politischen Engagements. Dieser Sektor entsteht dort, wo Tätigkeit und Muße, Engagement und Talent ineinander übergehen, wo Arbeit Kontemplation wird und sich von den Gesetzen des Geldes verabschiedet. „Still und leise, unsichtbar fast, erhebt sich die Arbeit tatsächlich von den Plätzen. Und wird wieder zur genuinen Tätigkeit des ganzen Menschen. Wir werden es erleben. Wir erleben es schon“, so Horx.

Die Autorin Tina Allerheiligen ist seit 2010 als PR-Beraterin und freie Journalistin tätig.